Artgerecht verboten – Wie Natürlichkeit zur Störung wurde
- 22. Apr.
- 4 Min. Lesezeit
Der folgende Beitrag ist ein Auszug aus dem Buch "HomoZo: Das letzte Kapitel der Evolution" von Wolfgang Daspelgruber und darf mit freundlicher Genehmigung des Autors hier veröffentlicht werden.

Wie natürlich leben trotz Verboten?
Es beginnt oft schleichend. Mit einem Verbot hier, einer Regel dort, einem Formular, das niemand versteht, einem Blick, der sagt: „So macht man das nicht.“ Und ehe man sich versieht, ist das, was einst selbstverständlich war, verdächtig geworden. Das Laufen barfuß auf einer Wiese. Das Schlafen unter freiem Himmel. Das wilde Klettern in einem Baum, der nach Abenteuer riecht. Das Spiel mit Matsch, Feuer, Wasser, Holz. Das bloße Sein in der Natur – nicht organisiert, nicht geplant, nicht zertifiziert.
Der moderne Mensch hat nicht nur verlernt, was ihm guttut. Er hat damit begonnen, es systematisch zu verbieten.
Natürlichkeit wird reglementiert. Freiheit wird protokolliert. Spontanität wird durch Sicherheitsbedenken ersetzt. Und das ausgerechnet in einer Welt, die sich gerne als „offen“ und „liberal“ bezeichnet. In Wahrheit ist sie zunehmend normiert – durch Gesetze, Verwaltungslogiken, Versicherungsinteressen, Hygienevorschriften, Standardisierungen. Was früher Teil eines lebendigen Alltags war, ist heute oft nur noch in eigens dafür geschaffenen Erlebnisräumen erlaubt – in abgesperrten Parks, auf überwachten Spielplätzen, in eigens errichteten „Abenteuerzonen“. Die Wildheit wurde zur Simulation degradiert.
Kinder sind davon besonders betroffen. Noch vor wenigen Jahrzehnten war es normal, dass Kinder alleine durch Wälder streiften, auf Bäume kletterten, stundenlang in Bächen spielten, mit Messern schnitzten, Feuer machten. Heute gelten diese Dinge in vielen westlichen Ländern als potenziell gefährlich, haftungsrelevant, entwicklungspsychologisch riskant. Spielplätze sind aus Kunststoff, flach, sicherheitsgeprüft – und steril. Die Natur wurde domestiziert, der Entdeckertrieb kanalisiert. Viele Eltern trauen sich nicht mehr, ihre Kinder frei laufen zu lassen – nicht, weil die Welt gefährlicher wäre, sondern weil die gesellschaftlichen Sanktionen bei Abweichung zugenommen haben (Gill 2007: 36).
Aber nicht nur Kinder trifft es. Auch Erwachsene stoßen immer wieder an unsichtbare Barrieren, wenn sie artgerecht leben wollen. Wer barfuß geht, wird misstrauisch beäugt. Wer sich auf eine Parkbank legt und die Augen schließt, gilt schnell als asozial. Wer im Wald schlafen will, braucht in vielen Ländern eine Genehmigung – und in manchen Fällen droht sogar ein Bußgeld. Wildcampen ist in weiten Teilen Europas verboten. Der Aufenthalt in der freien Natur ist kein Grundrecht mehr – er ist bewilligungspflichtig.
Selbst das Sammeln von Wildpflanzen, Kräutern oder Pilzen unterliegt oft strengen Auflagen. Die Ernte von Brennnesseln, Spitzwegerich oder Giersch – Pflanzen, die uns seit Jahrtausenden begleiten – ist vielerorts nur in geringen Mengen erlaubt und teilweise nur für den „Eigenbedarf“. Wer also versucht, sich wieder mit der essbaren Landschaft zu verbinden, steht schnell im Konflikt mit dem Gesetz. Nicht, weil er schadet – sondern weil er aus dem Raster fällt. Natürlichkeit ist nicht vorgesehen.
Gleiches gilt für das Bauen. Wer heute ein Haus errichten will, das aus natürlichen Materialien besteht, ohne Chemie, ohne Beton, ohne Dämmvorgaben, hat es schwer. Lehm, Stroh, Massivholz ohne technische Trocknung – alles möglich, aber nur mit viel Überzeugungskraft gegenüber Behörden. Die Bauordnung bevorzugt synthetische Materialien, normierte Standards, uniforme Konzepte. Wer sich weigert, bekommt keine Baugenehmigung. Oder keine Versicherung. Oder keine Bankfinanzierung. Wer aber fragt, ob diese Vorschriften dem Menschen guttun, erhält selten eine Antwort – außer: „So sind die Vorschriften.“
Auch die Selbstversorgung wird zunehmend erschwert. Tiere halten? Möglich, aber nur mit Anmeldung, Registriernummer, Impfpass, regelmäßigem Amtsbesuch. Gemüse anbauen? Erlaubt – solange die Fläche im Flächennutzungsplan korrekt ausgewiesen ist. Eigene Eier verkaufen? Bürokratischer Aufwand. Eigene Milch abfüllen? Hygieneauflagen. In vielen Ländern ist es sogar verboten, Rohmilch ohne behördliche Erlaubnis direkt zu verkaufen – auch wenn die Nachfrage steigt. Wer sich aus dem System herausbewegen will, stößt auf Wände.
Hinzu kommen unzählige Beispiele aus dem Alltag: Offenes Feuer? Nur an ausgewiesenen Stellen. Baden im See? Nur dort, wo es erlaubt ist. Musizieren im Freien? Lärmschutzverordnung. Tiere streicheln? Nur im Streichelzoo. Nacktheit im Wald? Ordnungswidrigkeit. Selbst das gemeinsame Kochen auf öffentlichen Plätzen – einst Ausdruck von Gemeinschaft – ist oft verboten oder stark reglementiert.
Es entsteht das paradoxe Bild einer Welt, in der man fast alles kaufen, aber kaum noch etwas selbst tun darf. Ein Leben in Autonomie, in Selbstwirksamkeit, in unmittelbarer Verbindung zur Umwelt – es ist nicht verboten im juristischen Sinn, aber blockiert im strukturellen. Die Gesetze wurden nicht gegen den Menschen gemacht, aber ohne ihn. Sie sind Ausdruck einer Gesellschaft, die Kontrolle mit Sicherheit verwechselt, Natürlichkeit mit Gefahr und Einfachheit mit Naivität.
Diese Entwicklung ist kein Zufall. Sie ist das Ergebnis eines tiefsitzenden Misstrauens – gegenüber der Natur, gegenüber dem Individuum, gegenüber dem Ungeplanten. Sie spiegelt den Glauben, dass nur das regulierte, das kontrollierte, das versicherte Leben ein gutes Leben sei. Doch dieser Glaube ist teuer erkauft: mit Entfremdung, mit Stillstand, mit innerer Leere.
Was verboten wird, verschwindet nicht. Es wandert ins Unbewusste, in die Sehnsucht, in die Störung. Die steigende Zahl von Menschen mit Depressionen, Angststörungen, chronischer Unzufriedenheit ist kein medizinisches Rätsel. Sie ist ein soziales Echo. Der Körper erinnert sich an das, was er nie bekommen hat. Die Seele trauert um das, was ihr fehlt – auch wenn sie es nie kannte. Man spürt es in der Rastlosigkeit vieler Menschen, in der Aggressivität des Alltags, im Bedürfnis nach Ausbruch, das sich in Extremsport, Drogen oder digitaler Flucht ausdrückt. Die Lösung liegt nicht in der Romantisierung der Vergangenheit. Sondern in der Anerkennung des Natürlichen als Teil des Menschlichen. Wer einen Baum umarmt, ist kein Spinner. Wer barfuß geht, kein Aussteiger. Wer mit den Händen isst, kein Primitiver. Es sind Versuche, sich zu erinnern. An das, was wir sind – und an das, was man uns vergessen ließ.
Es braucht nicht die große Revolution, sondern die kleine Rücknahme. Die Erlaubnis, wieder zu spüren. Die Möglichkeit, wieder echt zu sein. Die Freiheit, sich der Welt nicht nur als Konsument, sondern als Teilhaber zu nähern. Vielleicht beginnt das mit einem Spaziergang ohne Ziel. Mit einem Feuer, das man selbst entzündet. Mit einem Kind, das im Matsch spielt, ohne dass jemand dazwischen ruft. Vielleicht beginnt es da, wo nichts vorgeschrieben ist – und alles wieder möglich.
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